1.6 Das unüberschaubare Angebot – die Goldmark lockte auch Trittbrettfahrer 

Magische Anziehungspunkte waren die Läden der zahlreichen neuen Radiohändler, an deren reich gefüllten Schaufenstern man sich kaum satt sehen konnte. Sicher jedoch waren das in den wenigsten Fällen Fachleute, die meisten verkauften doch vor wenigen Monaten nur Fahrräder, Uhren oder Fotoapparate. Und manche hatten zuvor überhaupt kein Geschäft; die wollten mit der „Radiowelle“ schnell zu Geld kommen. Die Reklame in den Fachzeitschriften klang doch so verlockend: „Grossist sucht Händler bei höchster Rabattgewährung!“

 

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Es gab hunderte (Groß­)Händler und noch mehr sogenannte Fabrikanten, deren Produktionsräume nicht selten in einem Hinterhof Schuppen zu finden waren. Aber wohlklingende Namen hatten sie sich schon zugelegt und eine GmbH oder auch eine AG war schnell gegründet. Ob es wohl einer dieser „Möchtegern Unternehmer“ war, der per Annonce erst mal den „Radio ­Erfinder“ suchte?

1924 träumte manch neuer „Fabrikant“ noch von sagenhaften Gewinnen, das Jahr 1925 bescherte der gesamten Industrie eine Wirtschaftsrezession – besonders erfolgreich kreiste der Pleitegeier über den eben erst neu entstandenen Radio Fertigungsbetrieben. Über 500 wollten ihre Apparate auf den Markt bringen (siehe Anhang A I) – keine 100 überlebten ihr Gründungsjahr.

 

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Inserat aus: „Der Deutsche Rundfunk“, Febr. 1924

 

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Inserat aus: „Die Woche“, Februar 1924

 

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Aus: „Der Deutsche Rundfunk“, Mai 1924

 

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Inserate aus: „Funk“ und „Der Funkhandel“, Juni und August. 1925

 

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 Aus: „Der Radio-Markt, Pößneck“, Juli 1925

 

Und wo trieben es die Geschäftemacher am schlimmsten – natürlich in Berlin. Allein dort erreichten die Eintragungen der Firmen, die mit dem Radio Geld verdienen wollten, dreistellige Zahlen. Täglich konnte man Berichte über Neu.- und Umgründungen lesen – aus der „Würstel Vertriebs Gesellschaft“ wurde die „Elektrische Berliner Welle GmbH“. Und ebenso schnell, wie sie entstanden, verschwanden diese zweifelhaften Neuen auch wieder in der Versenkung. Auch außerhalb Berlins lockte die neue Verdienstquelle; von Nord nach Süd wucherten Radio ­Pflänzchen. In Hamburg gab es: die wenig bekannten Firmen Radio Almag, Giso, Hansa ­Funk, Kosra, Vosla, Teleradio und die Deutsche Milophon­ Werke AG, welche mit Detektorapparaten oder Röhrenempfängern auf den Markt kamen.

 

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Aus: „Der Funkhhandel“, Juni 1925

 

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Beide Inserate aus: „Radio“, März 1929

 

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Aus: „Der Deutsche Rundfunk“ Apr. 1925

 

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Inserat aus: „Radio“, November 1925

 

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Inserat aus: „Radio“, November 1925

 

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Aufsatz aus: „Der Elektro-Markt Pössneck“ vom August 1924

 

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Etwas bedeutender waren die Geräte von Dr. Lissauer, welche aber heute auch nicht mehr zu finden sind. Hamburg jedoch hatte einen anderen Schwerpunkt zu bieten: die RRF Radioröhrenfabrik GmbH, welche mit den Valvo­ Röhren zum zweitgrößten Radioröhrenhersteller Deutschlands wurde.

 

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Mit einem ganzseitigen, farbigen Inserat warb die Metallwarenfabrik Herm. Sack für ihren angeblich „konkurrenzlosen Detektor Rundf.- Empfänger“, der „von einem Röhrenapparat nicht zu unterscheiden“ sei! Es nützte nichts, er ließ sich wie hundert andere nicht verkaufen und bis heute ist kein Stück davon aufgetaucht. In Frankfurt am Main konnte man überregional bekannte Unternehmen finden: Ehrenfeld (mit Bausatzgeräten und dem weit verbreiteten Katalog), Schneider ­Opel (mit dem renommierten Konstrukteur Dr. Lertes) und im nahen Offenbach die Chemisch ­Technische Industrie­ Ges. mbH (mit ihren „Anker“­ Radio­ Modellen). Und natürlich auch hier die Trittbrettfahrer, z.B. eine Firma, die unter dem wohlklingenden Namen Radio Fernlaut Kalusa & Co. versuchte, Radios zu verkaufen. Zum Beispiel den Detektorapparat ohne Abstimm­ Möglichkeit, in dessen ausgefrästem Holzstück eine wild gewickelte Spule das einzige Funktionsteil war.

 

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Die aufgenagelten Firmen­ und Bezeichnungsschilder waren das teuerste an diesem zweifelhaften Erzeugnis.

 

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Weiter südlich, im braven Stuttgart, hatten es die Marktschreier schwer. Der bedächtige Schwabe überlegte sich jede Ausgabe dreimal. Aber Stuttgart war – das Radio betreffend – durchaus nicht Provinz. Nach Inbetriebnahme des ersten Südfunk­ Senders (siehe Abbildung im Abschnitt 1.3), der am 11. Mai 1924 mit 1,5 kW Röhrenleistung auf Sendung ging, konnte man bereits am 16. Mai, fast ein halbes Jahr vor der großen deutschen Funkausstellung in Berlin, im Stuttgarter Handelshof eine groß angelegte Radio­ Sonderausstellung besichtigen. Für seine brillante Plakatgestaltung bevorzugte Georg Hoffmann, ein Stuttgarter Künstler, aber dann doch die schicke Berlinerin. Schade, dass kein Ausstellungskatalog mehr aufzufinden ist.

 

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Inserat aus: „Der Radio-Amateur“, Mai 1924

 

Auch in Stuttgart fehlte es nicht an Radiofirmen. In den letzten Jahrzehnten noch als (Wega­) Sony am Markt, war die Württembergische Radiogesellschaft mbH schon in den Zwanzigern ein Begriff. Im April 1924 erhielt sie die RTV Zulassung und verfügte über einen Versuchssender mit dem Rufzeichen: „Ky 0“. Der Photograph Hugo Mezger war zunächst Generalvertreter und übernahm kurz darauf die finanziell schwache Wega.

 

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Finanziell schwach war auch die A.E. Pinggera GmbH, eine Stuttgarter Firma, welche ihre Fabrikate Telos nannte. Vielleicht wollte der Photohändler Friedrich Clar die Rolle übernehmen, in der Hugo Mezger die Wega zum Erfolg geführt hatte. Aber es wurde nichts daraus. Nur durch einen Glücksfall konnte vor der Entrümpelung des Geschäftshauses am Stuttgarter Ostendplatz im tiefen Keller ein Bestand von vier fast verkaufsfähigen Audions gerettet werden. Im Luxusgehäuse entspricht das Innenleben original dem Siemens­ Audion Rfe 1. „Nach Telefunken­ Patenten“ steht auf dem Geräteschild.

Zwar war auch die nur sieben Monate mit zwei Leuten arbeitende Pinggera GmbH im Besitz der RTV Zulassung, doch nach einem RTV ­Stempel sucht man auf den Geräten vergebens. Und Telefunken dürfte wohl auf die Lizenzgebühr noch heute warten. In Stuttgart Feuerbach hatte das „Planet Radiowerk“ die RTV Zulassung. Auch hier handelte es sich um einen Kleinstbetrieb, aus dem nur wenige Detektorapparate und Einröhren-Audions auf den Markt kamen. Und nur bis 1925 – da war das „Radio Fieber“ schon wieder abgeflacht.

Regional verschieden, hatte der Käufer die Wahl zwischen wirklichen und scheinbaren Markengeräten, die zum Teil auch als „Hausmarken“ offeriert wurden. Sollte man vielleicht doch lieber selbst etwas basteln? – fragte sich so mancher Radio Interessent… Das wäre nicht nur reizvoller und preisgünstiger, mitunter machten die hierfür angebotenen Einzelteile auch einen solideren Eindruck als die in den Fertigprodukten verarbeiteten.

Doch noch mal in Ruhe zuhause überlegen, sagte sich der vorsichtige Käufer – nicht nur der Schwabe – und nahm vorerst ein paar von den zahlreichen Prospektblättern über Bauteile (z.B. solchen von SABA) mit, welche meist durch „unverlangt eingesandte“ Loblieder einzelner Kunden ergänzt worden waren. Die kritischen Briefe fielen, wie das wohl heute noch so üblich ist, innerhalb solcher „Urteils­ Querschnitte“ unter den Tisch. „Selber einen basteln“ – na ja, das wär schon das richtige, wenn man nicht zuerst einem Funkverein beitreten, und so viel lernen müsste, um die „Audion Versuchserlaubnis“ zu bekommen.

 

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Ein Programm des Stuttgarter Senders vom Januar 1925 aus: „Der Deutsche Rundfunk“.

 

Im Grunde ist es erstaunlich, dass auch im Süden das „Radiofieber“ ausbrechen konnte – bei dem „bisschen“ Radioprogramm.

 

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Die Firma „Huth“ war zwar 1924 über eine Vertretung auf der Stuttgarter Radio Ausstellung präsent, es ist aber nicht nachgewiesen, ob sie solch einen Empfänger (mit der Rahmenantenne um die Lampe) ausstellte.

 

 

 

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